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Autor: Alexander Jordan [email protected] DER RUSSISCH-JAPANISCHE KONFLIKT IN ASIEN UND DER KRIEG VON 1905

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Autor: Alexander Jordan [email protected]

DER RUSSISCH-JAPANISCHE KONFLIKT

IN ASIEN UND DER KRIEG VON 1905

Autor: Alexander Jordan [email protected]

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Inhaltsverzeichnis:

Seite

1) Einleitung 3

2) Hauptteil

a) Entstehung des russisch-japanischen Konflikts 4

i) Die Situation in Japan 4

ii) Russland und seine Ostasienpolitik 7

iii) Die ersten Konfrontationen und der

Japanisch-Chinesische Krieg 9

iv) Die Bedeutung des Boxeraufstandes für die

russisch-japanischen Beziehungen 12

v) Die japanische Konvention mit Großbritannien 14

vi) Am Vorabend des Krieges 16

b) Der Krieg 19

i) Zum Kriegsverlauf 1*

ii) Die Lehren aus dem Waffengang 21

c) Ergebnisse und Konsequenzen 22

3) Schluss 25

Quellenverzeichnis 26

Literaturverzeichnis 27

Internetquellen 29

Autor: Alexander Jordan [email protected]

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Einleitung

Als die westlichen Mächte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weltweit zu expandieren

begannen, gelang es Japan, eine übermäßige Einmischung in seine inneren Angelegenheiten

zu verhindern, indem es durch erfolgreiche politische Reformen den Modernisierungsprozess

und die wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land beschleunigte. Dabei nahm es sich

genau jene Länder zum Vorbild, die bisher seine Unabhängigkeit bedroht hatten. Es waren

daher die Japaner, die im Fernen Osten den Gedanken der imperialistischen Ausbreitung von

den Europäern und Nordamerikanern mit frappierender Nachahmungskraft aufnahmen. Dieser

Prozess setzte in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein, und um 1920 war Japan dann

eine etablierte Großmacht. Ein Meilenstein auf diesem Weg stellt der Russisch-Japanische

Krieg der Jahre 1904-05 dar. Die japanische Expansion kollidierte mit den russischen Plänen

in der Mandschurei und Korea. Ermutigt durch ein Bündnis mit Großbritannien eröffnete das

Kaiserreich Japan 1904 die Feindseligkeiten. Benachteiligt durch die weite Entfernung des

Kriegsschauplatzes von seinen Industrie- und Bevölkerungszentren und konfrontiert mit einer

modernen und schlagkräftigen Streitmacht verlor Russland und musste den Frieden von

Portsmouth akzeptieren. In der Folge dieser Niederlage im Osten wurde die revolutionäre

Bewegung im eigenen Land immer weiter angeheizt.

Diese Arbeit soll die Hintergründe des Konfliktes beleuchten und darstellen, wie es einem bis

dahin kaum wahrgenommenen Land gelang den ‚russischen Bären’ niederzustrecken. In

einem ersten Teil werden die beiden Kontrahenten beleuchtet, speziell im Spiegel ihrer

politischen und militärischen Situation. Erste Auseinandersetzungen wie der Japanisch-

Chinesische Krieg und der Boxeraufstand zeigen, dass die Mächte bereit waren, ihre

Interessen in diesem Raum mit Waffengewalt durchzusetzen. Ein besonderer Stellenwert wird

in dieser Arbeit der japanischen Konvention mit Großbritannien eingeräumt. Sie war von

besonderer Bedeutung für Japan, da das Kaiserreich damit die nötige Unterstützung für einen

Konflikt im Fernen Osten fand und da es ihm als erstem fernöstlichen Land gelungen war ein

Bündnis mit einer europäischen Großmacht einzugehen. Die Schilderung des Kriegsverlaufes

selbst ist sehr gerafft und soll hinter der Entstehungsgeschichte des Krieges zurückbleiben.

Trotz alledem ist gerade der Russisch-Japanische Krieg von besonderem Interesse bei der

Betrachtung der militärischen Konflikte vor 1914, da er als direkter Vorläufer des Ersten

Weltkrieges gelten kann. Daraus resultierende Konsequenzen sollen im Kapitel ‚Die Lehren

aus dem Waffengang’ kurz angerissen werden. Die innenpolitischen Auswirkungen des

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Krieges auf Russland und die revolutionären Unruhen können nur erwähnt werden da sie den

Rahmen sprengen würden. Eine Betrachtung des Japanischen Sieges und der Folgen, nicht

nur für den Fernen Osten, sondern auch für Europa beendet diesen Aufsatz.

Eine Fülle von Quellen findet sich in den internationalen Editionen zum Kriegsausbruch und

den Sammlungen zur Diplomatie der „Großen Kabinette“.1 Von besonderem Interesse ist der

Bericht des amerikanischen Marine Beobachters Newton A. McCully, der Militär und Marine

Operationen in der Mandschurei, Port Arthur, Wladiwostok und die Seeschlacht von

Tsushima schildert.2 Einen wesentlichen Beitrag zur Rezeption der Ereignisse des Russisch-

Japanischen Krieges hat im deutschen Sprachraum der dokumentarische Roman Tsushima

von Frank Thiess aus dem Jahre 1936 geleistet.3 Die –zumeist englische- Literatur ist sehr

umfangreich und nur zwei sollen hier genannt werden. Ian Nishs The Origins of the Russo-

Japanese War führt sehr anschaulich in die Problematik des Fernen Ostens ein und

McDonalds Betrachtungen benennen allgemein verständlich die komplexen Hintergründe und

Mitspieler russischer Außenpolitik.4 Der Kriegsverlauf ist sehr detailliert dargestellt in

Connaughtons Werk The War of the Rising Sun and the Tumbling Bear.5 Zunächst soll nun

ein kurzer Einblick gegeben werden in das Selbstverständnis der beiden Kombattanten.

1) Hauptteil

a) Entstehung des russisch-japanischen Konflikts

i) Die Situation in Japan

Die Japaner hatten, wie die Chinesen, über zwei Jahrhunderte lang ihr Inselreich in der

Selbstabschließung gehalten, bis 1853 amerikanische Kriegsschiffe unter Invasionsdrohung

eine „Politik der Offenen Tür“ erzwangen. Kommodore Matthew Perry landete am 8. Juni mit

vier amerikanischen Kanonenbooten in der Bucht von Edo (dem heutigen Tokio), um ein

1 Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914 (im folgenden GP). Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes herausgegeben von Johannes Lepsius/ Albrecht Mendelsohn Bartoldy/ Friedrich Thimme. Ebenso die britischen Dokumente zum Kriegsausbruch: British Documents on the Origins of the War (im weiteren BD abgekürzt). Herausgegeben von G.P. Gooch und Harold Temperley. Die Französische Sicht in: Documents Diplomatiques Francais 1871-1914 (im folgenden DF). Im Auftrag des Ministère des Affaires Étrangères. Herausgegeben von der Commission de Publication des Documents Relatifs aux Origines de la Guerre de 1914. 2. Serie (1901-1911). 2 Doenhoff von, Richard A. (Hg.), The McCully Report. The Russo-Japanese War 1904-05, Annapolis 1977. 3 Frank Thiess, Tsushima. Der Roman eines Seekrieges, Berlin-Wien 1941. 4 Ian Nish, The Origins of the Russo-Japanese War, Harlow 1985. Sowie: David MacLaren McDonald, United Government and Foreign Policy in Russia 1900-1914, Cambridge-London 1992. 5 Richard Connaughton, The War of the Rising Sun and the Tumbling Bear. A military history of the Russo-Japanese War 1904-05, London-New York 1988.

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Schreiben des US Präsidenten zu übergeben6. Darin wird die gastliche Aufnahme

Schiffbrüchiger, die Bereitstellung von Proviant, Wasser und Kohle für fremde Schiffe und

die Öffnung eines japanischen Hafens für den Handel mit Amerika verlangt. Mit dem Vertrag

von Kanagawa vom 31. März 1854 wurden die geforderten Konzessionen erreicht. Ähnliche

Verträge mit Großbritannien (1854), Russland (1855), den Niederlanden (1856), Frankreich

und Preußen (1861) folgten. Die Politik der „Open Door“ war ein beliebtes Instrument in

Asien, so erzwang 1876 Japan militärisch die Öffnung von drei koreanischen Häfen und 1899

die USA die Öffnung Chinas. Ziel war, dass allen Staaten die gleichen Handelschancen in

China garantiert werden.

Mit der gewaltsamen Öffnung nach außen erkannten die Japaner, dass nur durch eine

Anpassung an Staatsorganisation, Militär, Wirtschaft und Technik des hoch überlegenen

europäischen Kulturbereichs die eigene Macht zu stärken sei.7 Der außergewöhnliche

Transformationsprozess konnte nur gelingen, wenn die Vereinbarkeit mit den japanischen

Traditionen gegeben war. Diese Übereinstimmung wurde nicht im britischen, sondern im

preußischen Vorbild gefunden, vor allem auf dem Gebiet des Rechts, im Bildungs- und im

Militärwesen. Das 1868 restaurierte Tennosystem aus dem Frühmittelalter, das Japan vor

Umstürzen wie in China bewahrt hatte, stand damit im Einklang. 8 Gleichzeitig ging damit

eine Loyalitätsverlagerung einher, von dem herrschenden Shogunat –den Familiendynastien

die die Regierungsgewalt ausübten- hin zu den Tennos, die bis dahin politisch bedeutungslos

in Kyoto gelebt hatten. Japan war seit 1890 ein Verfassungsstaat und verfügte über ein

Zweikammer-Parlament, dessen schärfste Waffe das Budgetrecht war. Das Kabinett wurde

zwar vom Tenno berufen, setzte sich aber zunehmend aus Parteipolitikern zusammen. Die

militärischen Führungsstrukturen entsprachen weitgehend dem deutschen Aufbau. So war der

Kriegsminister für Rüstungs- und Finanzfragen, der Generalstabschef für Planung und

Ausbildung und eine dem deutschen Militärkabinett ähnliche Einrichtung für Personalfragen

zuständig.

Japans Aufstieg zu einer modernen Weltmacht vollzog sich schrittweise und erreichte mit

dem Sieg über Russland 1905 seinen Höhepunkt. Nach der Öffnung durch Perry waren die

6 Der 13. Präsident der Vereinigten Staaten Millard Fillmore. 7 Zum militärischen Aspekt: Montgomery of Alamein, A concise History of Warfare, London 1972, S. 269ff. 8 Der Tenno ist der in der Shinto Religion verankerte Kaiser, der mittels einer zentralisierten Bürokratie und absoluter Macht das Reich regiert. Der japanische Herrscher führte den Titel eines ‚Himmelssohnes’ (Tenshi) oder ‚himmlischen Herrschers’ (Tenno). „Er wurde durch entlehnte Vorstellungen vom Mandat des Himmels und von der Herrschaft durch Tugend und Güte in seiner Legitimität unterstützt.“ Vgl.: John Whitney Hall, Das Japanische Kaiserreich, Frankfurt a. M. 1968, S. 56.

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Japaner gezwungen gewesen, Zugeständnisse zu machen um sich Zeit zu verschaffen.

Während dessen lernten sie von den Europäern die Kunst der hohen Diplomatie und die

Durchsetzung ihrer Interessen mit militärischen Mitteln. Im Jahr 1872 dehnte sich Japan auf

die Ryukyu- und Bonin Inseln aus und 1875 konnten von Russland per Vertrag die Kurilen

gewonnen werden. Weitreichende soziale und wirtschaftliche Reformen in der Meiji Ära

öffneten die Tür zu beachtlichem wirtschaftlichen Wachstum. Der merkantilistische Slogan

des 18./ 19. Jahrhunderts bestimmte wieder das Handeln vieler: fukoku-kyohei „bereichere das

Land und stärke das Militär“.9 Das Ende der sogenannten Matsukata-Deflation 1886

kennzeichnet den Beginn der eigentlichen, modernen Entwicklung der japanischen

Wirtschaft.10 Die Handelsbilanz wurde in der frühen Entwicklung durch den Export von Seide

und Baumwollprodukten ausgeglichen. Die Mechanisierung der Spinnverfahren spielte

hierbei natürlich eine große Rolle. Zunehmend begann Japan verschiedenartige Industriegüter

zu produzieren. Dies wirkte sich erst nach 1905 fühlbar auf den heimischen bzw. den

Weltmarkt aus, aber man erkannte bereits die Richtung und das Potential der neuen

wirtschaftlichen Entwicklung. Diwald spricht in seinem Buch davon, dass „[...] die

wirtschaftlichen Entwicklung zur militärischen Expansion so auffallend deutlich parallel lief,

dass es auch am Beispiel Japans gerechtfertigt wäre, von einem Modell für den allgemeinen

Imperialismus der Jahrhundertwende zu sprechen.“11

Unvermeidlich trat das Kaiserreich als Konkurrent der europäischen Machtinteressen im

geschwächten und abhängigen China auf. Im Zuge eines steigenden nationalen

Selbstbewusstseins hatte sich Japan von den Jahrhunderte alten Beziehungen zu China

distanziert und auch geistig-kulturell entfremdet. Kaum minder drängte das überschüssige

Bevölkerungswachstum zum Landerwerb, der nur auf dem Festland möglich war. Japans

Hauptinteresse galt dabei Korea, dessen äußerste Landspitze nur ca. 200 km entfernt war.

Gestützt wurde dieser Expansionsdrang vom japanischen Heer, das sich mit der Marine

deswegen in Streit befand. Das Heer vertrat das imperiale Konzept einer territorialen

Ausbreitung in China und Korea. Die Marineführung schloss sich den kapitalorientierten

Wirtschaftsgruppen an, die eine Ausbreitung im gesamtem pazifischen Südraum bis hin zu

Australien forderten. Im Endeffekt sollte diese Position siegreich bleiben.

9 Hall, Kaiserreich, 1968, S. 237. 10 Finanzminister Matsukawa begegnete der Inflation mit einer Neuorganisation des Bankensystems indem er die Bank von Japan schuf, das Geldwesen reformierte und eine Gruppe großer Unternehmer zu Investitionen ermunterte. Hierzu: Hall, Kaiserreich, 1968, S. 298. 11 Helmut Diwald, Die Erben Poseidons, Seemachtpolitik im 20. Jahrhundert, München 1984, S. 52f.

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ii) Russland und seine Ostasienpolitik

Das zaristische Russland war eine alteingeführte Großmacht, die in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts fast den europäischen Kontinent dominierte. Nach der Niederlage im Krimkrieg

eingeleitete Reformen stagnierten seit dem Tode Zar Alexanders II. im Jahre 1881. Zu Beginn

des 20. Jahrhunderts war der russische Zar immer noch ein autokratischer Herrscher. In

Russland gab es keine Verfassung, bis 1905 kein Parlament, und keine (legalen) Parteien.

Russland verfügte über keinen Koordinierungsfunktionen ausübenden, Ministerpräsidenten,

sondern über vom Zaren nach seinem Gutdünken eingesetzte und nur ihm verantwortliche

Minister. Die wichtigsten unter ihnen waren Finanzminister Witte, Kriegsminister

Kuropatkin, Innenminister Plehwe und Außenminister Lamsdorff, welche ihre speziellen

Ressortinteressen in steten Kämpfen untereinander beim Zaren durchzusetzen versuchten.

Auch Nikolai nutzte die Rivalitäten und Zwistigkeiten um die Oberhand zu behalten. In

seinen Augen war der einfachste Weg „um seine autokratischen Privilegien zu wahren, nur

seine Beamten schwach und untereinander zerstritten zu halten“.12

Politisch, ökonomisch und sozial standen in Russland viele Probleme zur Lösung an. Der

wirtschaftliche Entwicklungstand im Land war unterschiedlich, bereits hoch entwickelten

Regionen im europäischen Teil standen wenig entwickelte Regionen (z. B. im Kaukasus und

in Mittelasien) gegenüber. Besonders hatte sich die Agrarfrage, die Ausstattung der Bauern

mit Boden, zugespitzt. Der maßgeblich vom Finanzminister Witte gesteuerte

Industrialisierungsprozess erfolgte wie in Japan auf Kosten der Bauern.13 Eine Reihe von

nationalen Minderheiten vor allem in Russisch-Polen, in Finnland, im Baltikum und im

Kaukasus strebte nach nationaler Selbständigkeit und Autonomie. Die russischen

Mittelschichten, insbesondere die zu radikalen Ansichten neigende „Intelligentsia“, forderten

politische Mitbestimmung.14 Trotz allem war Russland gewillt seinen Platz unter den

Großmächten zu behaupten und auszubauen. Wie in anderen Ländern grassierte in Russland

zu Beginn des 20. Jahrhunderts als typisch imperialistische Erscheinung der ‚Navalismus’.15

12 Orlando Figes, Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924, Berlin 1998. S. 41. 13 Zur Situation der Landbevölkerung und der Bauernfrage siehe ebd. S 100-116 und auch Jan Kusber, Krieg und Revolution in Russland 1904-1906. Das Militär im Verhältnis zu Wirtschaft, Autokratie und Gesellschaft, Stuttgart 1997, S. 26-37. 14 vgl. Figes, Tragödie 1998, S. 60 ff. 15 Seeherrschaft als der entscheidende Faktor der Macht ist die Grundthese in dem epochalen Werk des amerikanischen Seekriegstheoretikers Alfred Thayer Mahan. Dazu: Alfred Thayer Mahan, The Influence of Seapower upon History. 1660-1812, 2 Bd., Boston 1890-1892. Einen gerafften Überblick in: Jörg Duppler,

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Russland hatte zur Jahrhundertwende nach England und Frankreich die drittgrößte

Kriegsflotte der Welt, 1906 war es nur noch die siebtgrößte.16 1898 wurde ein spezielles

‚Programm für die Belange des Fernen Ostens’ verabschiedet, das der Gefahr einer stetig

anwachsenden japanischen Flotte begegnen sollte. Erstaunlich ist, dass für die

Pazifikgeschwader keine konkreten strategischen Aufgaben gestellt wurden wie etwa der

Baltischen- oder der Schwarzmeerflotte. Monakov hat sehr treffend bemerkt, dass diese

Tatsache „[...] der unanfechtbare Beweis dafür [ist], dass die nationale Strategie Rußlands im

Angesicht der unausweichlichen Konfrontation mit Japan durch das Fehlen greifbarer

politischer und militärischer Ziele gelähmt war.“17

Während sich Russland im 16. bis 18. Jahrhundert vorrangig in Sibirien ausgebreitet hatte,

folgte im 19. Jahrhundert eine Expansion in Mittelasien und im Fernen Osten. Dabei trat 1895

Russland als Protektor Chinas auf, um ein Festsetzen Japans auf dem Asiatischen Kontinent

zu verhindern und um selbst in der Mandschurei (Liaotung Halbinsel mit Port Arthur) Fuß zu

fassen. Des weiteren waren Korea und die Mongolei von Interesse, und im Angesicht eines

politisch wie militärisch schwachen Chinas war sogar eine Annexion denkbar und schien auch

erfolgversprechend.

Die Gestaltung der russischen Politik in Asien ist untrennbar mit der Person des Sergei

Julievich Witte verbunden. Russische Kreise, die durch ihn verkörpert wurden, strebten zur

Erhaltung der russischen Autokratie und Großmachtstellung eine wirtschaftliche

Modernisierung und eine Art ‚gesteuerte’ industrielle Entwicklung an. Im Fernen Osten

schwebte Witte dabei ein ‚informelles’ Wirtschaftsimperium vor. Im Rahmen einer derartigen

Politik hatte eine wirtschaftliche Expansion, gekennzeichnet durch die Erschließung neuer

Märkte und Ressourcen, großes Gewicht. Ein solches Unternehmen war zu dieser Zeit ohne

Eisenbahnen unmöglich. Daher und natürlich auch aus militärstrategischen Erwägungen

resultiert die hohe Bedeutung der 1891 begonnenen Transsibirischen Eisenbahn18. Mit dem

Seemacht, Seestrategie, Seeherrschaft, In: Jörg Duppler (Hg.), Seemacht und Seestrategie im 19. und 20. Jahrhundert, (Vorträge zur Militärgeschichte Bd. 18), Hamburg-Berlin-Bonn 1999 S. 13-20. 16 Hierzu Michail S. Monakov, Die Seemacht und der strategische Einsatz der russischen Seekriegsflotte (1880-1990) in: Duppler, Seemacht, 1999 S. 185-199. 17 ebd. S. 190. 18 Sie war ein Hauptinstrument Witte’ scher Wirtschaftspolitik und er sah darin auch eine Möglichkeit, eine Pazifikflotte zu unterhalten, welche „could be considerably strengthened, and which in case of political complications in Europe or in the Asiatic East would acquire an especially important significance in dominating all commercial movements in the waters of the Pacific.“ In: Andrew Malozemoff, Russian Far Eastern Policy. With special emphasis on the causes of the Russo-Japanese War, Berkeley-Los Angeles 1958, S. 41. Speziell zur Transsibirischen Eisenbahn und der damit untrennbar verbundenen Russisch Chinesischen Bank der Artikel von

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Bau der transsibirischen Eisenbahn zeigte Russland ganz offen seinen Trend zum warmen

Wasser im Gelben Meer. Der Haupthafen der russischen Pazifikflotte war bis dahin das 1860

gegründete Wladiwostok gewesen, das allerdings drei Monate im Jahr vereist. Der Einfluss

Japans auf den Hafen ist evident: Im Norden wird die Straße von La Perouse durch das

japanische Hokkaido und die Kurilen flankiert, der Hauptseeweg im Süden mündet in den

Flaschenhals der Korea Straße und ist durch die japanische Tsushima Insel leicht zu

blockieren19. Russland war daher stets auf der Suche nach einem komplett eisfreien Hafen

und schien ihn in Port Arthur (Lushun) zu finden. Die russische Admiralität hatte

weitergehende Ambitionen und favorisierte zusätzlich die Schaffung einer Marinestation an

der Südspitze Koreas.20 Der amtierende Marineminister Tyrtow fasste die Situation im

Februar 1900 zusammen:

„Japan ist hinsichtlich Koreas fast in der gleichen Situation wie wir in Bezug auf den Bosporus, und es ist sehr wahrscheinlich durch entsprechende Überlegungen dazu veranlasst worden, Pläne für eine plötzliche Besetzung Koreas auszuarbeiten, ähnlich denen, die bei uns hinsichtlich des Bosporus erörtert werden ... Rußland bedarf natürlich keiner territorialen Erwerbungen ... und wird im Fernen Osten keine aggressive Politik führen, aber Japan kann an einer solchen Politik nur durch die Drohung mit einer wirksamen Macht gehindert werden“21

iii) Die ersten Konfrontationen und der japanisch-chinesische Krieg

Die japanischen Spannungen mit China um die Herrschaft in Korea führten im August 1894

zum Krieg, der durch überraschend schnelle Siege der modernisierten Land- und

Seestreitkräfte beendet werden konnte. Die Japaner demonstrierten erstmals und sehr

eindrucksvoll wie effektiv ihnen die Übernahme westlicher Technik und Organisation sowohl

auf militärischem, als auch auf wirtschaftlichem Gebiet gelungen war. Diese Ereignisse hatten

in Japan zur Folge, dass sich ein tiefes Vertrauen zur neuen Armee entwickelte, welches sich

in einer raschen Vergrößerung von Armee und Marine niederschlug. Es wurde nun gezielt

darauf hingearbeitet die Armee für einen ‚unausweichlichen’ Krieg mit Russland fit zu

machen. Im Diktatfrieden von Shimonoseki (18. April 1895) mussten die Chinesen Formosa

(Taiwan) samt den davor liegenden Pescadoren-Inseln abtreten, dazu den Flottenstützpunkt

B. A. Romanov, Russlands „friedliche Durchdringung“ der Mandschurei, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Imperialismus, (Neue Wissenschaftliche Bibliothek Bd. 37), Köln-Berlin 1970, S. 351-386. 19 1861 hatten die Russen Tsushima besetzt, mussten aber nach heftigen britischen Protesten die Insel wieder räumen. 20 Gedacht war hier vor allem an Fusan. Vgl.: B.H. Sumner, Der russische Imperialismus in Ostasien und im Mittleren Osten 1880-1914, in: Wehler, Imperialismus, 1970, S. 321-350, hier: S. 326. 21 Sumner, Imperialismus, 1970, S. 326.

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Port Arthur, und sie mussten auch die meisten Kriegskosten bezahlen. Korea wurde formell

unabhängig jedoch der japanischen Schutzmacht unterstellt. Der Krieg hatte bewiesen, dass

Japan eine Macht geworden war, mit der man in der Arena des Fernen Ostens rechnen

musste. Das alarmierte die Russen. Um den gefährlichen Rivalen fernzuhalten, protestierten

sie gegen die Ausführung des Friedensvertrages.22 Witte der aktive Politik gegen Japan

betrieb erklärte: „Durch diese Haltung könnten wir die Rolle eines Retters von China spielen,

wobei China uns dann für unsere Dienste später durch friedliche Zustimmung zu einer

Korrektur unserer Grenzen belohnen könnte.“23 Deutschland schloss sich der Intervention an.

Es hoffte auf die langfristige Bindung des Zarenreiches in Asien und die Förderung deutscher

Handelsinteressen mit einem militärisch-wirtschaftlichen Stützpunkt im kranken China. In die

selbe Richtung ging auch Frankreich.24 Dem vereinten Druck des »ostasiatischen

Dreibundes« musste sich die Regierung in Tokio beugen und ihre eigentliche Siegesbeute

wieder herausgeben: die Halbinsel Liaotung mit den Häfen Port Arthur und Dalny25. Auch

Korea schien für Japan verloren.

Petersburg sicherte sich durch einen Geheimvertrag mit Peking (Moskauer Vertrag vom 22.

Mai 1896) den Bau des letzten Bahnabschnittes nach Wladiwostok durch

nordmandschurisches Gebiet in bedrohlicher Nähe der koreanischen Grenze. Mit der

Entscheidung, die einzige Eisenbahnverbindung zwischen der russischen Pazifikküste und

Sibirien quer durch chinesisches Gebiet zu bauen, hatte die zaristische Regierung fast

zwangsläufig den Weg zu einer stärker interventionistischen Politik in China beschritten.

Wittes Plan war die Strecke von der sibirischen Stadt Tschita quer durch chinesisches Gebiet

zum russischen Fernosthafen Wladiwostok zu führen. Die Alternative wäre eine Trasse auf

russischem Hoheitsgebiet entlang der Grenze zu China gewesen, den Ufern des Amur und

22 In der diesbezüglichen Note an Tokio heißt es: „Die Prüfung der von Japan China auferlegten Friedensbedingungen drängt der Regierung Seiner Majestät [...] die Überzeugung auf, daß die von Japan verlangte Besitznahme der Liaotung-Halbinsel eine ständige Bedrohung der chinesischen Hauptstadt sein und gleichzeitig die Unabhängigkeit Koreas illusorisch machen würde, daß sie folglich ein dauerndes Hindernis für den Frieden Ostasiens darstellt. Daher wünscht die Regierung Seiner Majestät [...] einen neuen Beweis ihrer aufrichtigen Freundschaft für die Regierung Seiner Majestät des Kaisers von Japan zu erbringen, indem sie ihr rät, von einer permanenten Besitznahme der Liaotung-Halbinsel Abstand zu nehmen.“ In: Gottfried-Karl Kindermann, Der Ferne Osten in der Weltpolitik des industriellen Zeitalters, München 1970, S.. 87. 23 ebd., S. 93. 24 Vgl. GP Bd. 9 - Der nahe und der ferne Osten, Berlin 1927, Kap. LVII- Der „Ostasiatische Dreibund“. Das Zusammenwirken von Deutschland, Rußland und Frankreich in Ostasien 1894-1895, S. 239-333. 25 In der Literatur erscheinen drei Namen: chinesisch wird der Ort Talien, japanisch Dairen und russisch Dalny genannt. Zunächst war es ein einfacher Fischereihafen, der aber mit dem Bau der russischen Eisenbahn an Bedeutung gewann. Port Arthur ist von enormer strategischer Bedeutung, da es so nah an den Zufahrtswegen zu Peking liegt und praktisch der Golf von Chihli von hier aus zu kontrollieren ist. Ein Entwurf des Vertrages in: GP Bd. 9, Nr. 2272, S. 295f. Vgl. hierzu: Nish, Origins, 1985, S. 14.

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Ussuri folgend. Man hätte dabei einen Umweg von rund 1.500 Kilometern und aufgrund des

bergigen Geländes enorme Mehrausgaben in Kauf nehmen müssen. Durch diese

Streckenführung gewann die Mandschurei für das außenpolitische Staatsinteresse Russlands

eine ebensolche Bedeutung wie Ägypten nach dem Bau des Suezkanals für Großbritannien

oder Panama wegen seines Kanals für die Vereinigten Staaten. In einem Zusatz des Moskauer

Vertrages wurde eine Defensivallianz zwischen Russland und China vereinbart. Die

Eisenbahn war die Grundlage und militärtechnische Voraussetzung des Bündnisses.26

Aber auch die anderen Großmächte nützten den Zustand des innerlich zerrütteten

chinesischen Riesenreiches zur Aufteilung in klar abgegrenzte Interessensphären aus27.

Deutschland drückte das Recht zum pachtweisen Besitz der Bucht von Kiautschou mit dem

Hafen Tsingtau für die Dauer von 99 Jahren durch.28 Frankreich erwarb die Halbinsel

Kuangschouwan südwestlich von Kanton. Kaiser Wilhelm II. auf dem Fuße folgend, hatte Zar

Nikolaus II. am 16. Dezember 1897 seine Kriegsschiffe auf der Außenreede von Port Arthur

ankern lassen; der Auftakt zur Abtretung der Südspitze von Liaotung als Pachtgebiet. Die

zugesicherte Bahnverbindung mit der durch die Mandschurei führenden Hauptlinie zwischen

den wichtigen Hafenplätzen auf der Halbinsel und Wladiwostok rundete die erzwungene

Übereinkunft ab. England als Initiator des Interventionsgedankens hatte sich zurückgehalten,

was seine Annäherung an Japan erleichterte, bezog jedoch die Riegelstellung des Hafens von

Weihawei im Nordosten von Shantung, Port Arthur gegenüber. In der internationalen

Öffentlichkeit dieser Zeit wurde eine De-facto- Aufteilung des chinesischen Reiches in

Einflusssphären der Großmächte als mehr oder weniger gegeben betrachtet.29

War schon der revidierte Frieden von Shimonoseki für das ganze japanische Volk eine

Schmach, so empfand es die Besetzung von Port Arthur durch die Russen als tiefste nationale

Demütigung. Der Bahnbau der Zweigstrecke von Harbin bis Port Arthur kündigte die

Beherrschung der gesamten Mandschurei an und darüber hinaus auch den Zugriff auf Korea.

26 Der vollständige Wortlaut des Defensivvertrages in: Romanov, „friedliche Durchdringung“, 1970, S. 381-383. 27 Zur Definition und Auslegung des Begriffs Interessensphären Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 48-50. 28 Es sei an den Kommentar Helmuth von Moltkes, des Generalstabschefs des deutschen Heeres, erinnert: „Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, ist es Geldgier, was uns bewogen hat, den großen chinesischen Kuchen anzuschneiden. Wir wollen Geld verdienen, Bahnen bauen, Bergwerke in Betrieb setzen. Darin sind wir keinen Deut besser als die Engländer.“ In: Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 58. Die Vorbereitung der Erwerbung und der Erwerb Kiautschous in GP Bd. 14 (I), Kap. XC- Das Vorgehen der Europäischen Mächte in Ostasien, S. 1-152. Auch: BD Bd. 1., Kap. I- Russia and the Far East 1897-1899, S. 1-41. 29 Zur ‚Kompensationspolitik’ der Großmächte: Romanov, „friedliche Durchdringung“, 1970, S. 357ff. Die Erwerbungen Russlands und Englands 1898-1899 in: GP Bd. 14, S. 153-190.

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iv) Die Bedeutung des Boxeraufstandes für die russisch-japanischen Beziehungen

Der Boxeraufstand von 1900 brachte den russisch-japanischen Status Quo endgültig

durcheinander.30 Die Geheimbewegung der ‚Faustkämpfer für Rechtlichkeit und Eintracht’ (I-

ho-ch’üan) -von Ausländern als Boxer ironisiert- wehrt sich gegen eine chinesische Öffnung

nach Westen. Die Ursachen für den Machtzuwachs dieser Bewegung sind in dem immens

gestiegene Einfluss fremder Mächte in China zu sehen, sowie in der gestiegenen

Arbeitslosigkeit aufgrund der anlaufenden Industrialisierung, aber auch wegen des Importes

westlicher Fertigprodukte und zuletzt in den westlichen Missionsgesellschaften in China. In

überaus gewalttätigen Parolen predigten die Boxer den Kampf gegen die Ausländer.31 Am 19.

Juni 1900 wird der deutsche Gesandte Klemens von Ketteler ermordet und es beginnt die

Belagerung des Gesandtschaftsviertels von Peking. Am 21. Juni verbündet sich die

Kaiserinwitwe Tz’u-hsi mit den Boxern und billigt die Kriegserklärung Chinas an die

Westmächte. Erst mit dem Eintreffen eines gemeinsamen Expeditionskorps der ausländischen

Mächte (u.a. England, Frankreich, Russland, USA, Italien, Deutschland und Japan) kann die

Belagerung am 14. August niedergeschlagen werden. Der Aufstand wird schließlich mit dem

Boxerprotokoll vom 7. September 1901 beendet, worin China eine hohe Kriegsentschädigung

auferlegt wurde sowie ein Verbot der Waffeneinfuhr, die Aufstellung von

Sühnegesandtschaften, und die Untersagung fremdenfeindlicher Aktionen.32

Einen besonderen Stellenwert nimmt die Rebellion der Boxer in der Mandschurei ein. Im

Unterschied zu ähnlichen Ereignissen in Nordchina war hier der Status der ökonomischen

Interessen ein anderer. Die europäischen Intentionen in der Mandschurei waren mit

Ausnahme des ‚offenen’ Hafens von Newchang rein russischer Natur. Die größte Bedeutung

hatte der fortgeschrittenen Bau der Chinesischen Ostbahn (Harbin-Dalny-Port Arthur) 33.

Weitere russische Anliegen waren die Geschäfte der Russisch-Chinesischen Bank –die

zutiefst mit der CER verknüpft war- in Harbin, Kirin, Newchang und Mukden, die 30 Relevante Dokumente in GP Bd. 16, Die Chinawirren und die Mächte 1900-1902. Auch: BD Bd. 2, Kap. IX- The Far East 1900-1901, S. 1-59. 31 „Nur darum, weil die Ausländer mehr als vierzig Jahre lang in ganz China gehaust haben, werden sie im Laufe von drei Monaten ermordet sein, und es wird in China keine Ausländer mehr geben. Die übrigen mögen zu sich nach Hause zurückkehren, damit sie uns nicht mehr quälen und betrügen.“ Wohl als ‚Sinnbild des Bösen Westens ’ war den Boxern eine ausgeprägte Technikfeindlichkeit zu eigen: „Man muß die Eisenbahnen überfallen, den Verkehr lahm legen und dann die großen Schiffe zerstören ... und alle Teufel werden vernichtet sein.“ In: Kindermann, Der Ferne Osten, 1970, S. 114f. 32 Zum Boxeraufstand auch Robert K. Massie, Die Schalen des Zorns. Großbritannien, Deutschland und das Heraufziehen des Ersten Weltkriegs, Frankfurt a. M. 1998, S. 287-300. Spezielles Augenmerk richtet Nish auf die Auswirkungen die sich für Russland und Japan ergeben. Siehe Nish, Origins, 1985, Kap.IV-VI. 33 In der Literatur zumeist Chinese Eastern Railway (CER) genannt.

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Erschließung der Kohlevorkommen in Yentai und Wu-fand-yang durch die CER und der

Schiffsverkehr auf dem Sungari Fluss. Die hohe Zahl an Betroffenen –rund 1.500 russische

Zivilisten und 4.500 Eisenbahnwachen- machten den Boxeraufstand zu einem gravierenden

Problem für die Russen.34 Das russische Vorgehen war schnell und umfassend, sie

okkupierten das gesamte mandschurische Gebiet einschließlich der Hauptstadt Mukden und

Teile der Mongolei. Nach der Niederschlagung des Aufstandes gab es differierende

Meinungen über das weitere Vorgehen. Den Militärs, allen voran Kuropatkin, wäre die

Annexion wenigstens der Nordmandschurei am liebsten gewesen als einzige dauerhafte

Garantie der russischen Interessen und Staatsbürger in China.35 Aufgrund der wirtschaftlichen

Kontakte und der wachsenden Kosten der Besetzung vertrat Witte eine entgegengesetzte

Position des Rückzuges aus der Mandschurei. Dennoch beließ Russland seine Truppen in den

besetzten Teilen der Mandschurei, während die anderen Mächte Anfang 1901 begannen ihre

Expeditionsstreitkräfte aus China abzuziehen.36

In Japan war diese dauerhafte Besetzung ein Katalysator für die Angst, Russland würde sich

von der Mandschurei aus nach Korea ausdehnen. Der wachsende russische Einfluss in Korea

in Form der russischen Yalu-Holzgesellschaft verschärfte die russisch-japanischen

Gegensätze nur noch.37 In Nachahmung der britischen Ostindien-Gesellschaft sollte die

Forstgesellschaft die russische Durchdringung Koreas vorantreiben. Der damalige russische

Botschafter in Tokio gibt ein realistisches Bild in seinen Memoiren:

„Die Absurdität dieses Planes, der behauptet, ein Land wie Rußland mit nahezu unberührten europäischen und asiatischen Forstgebieten in einem Umfang von zwei Millionen Quadratmeilen benötige um jeden Preis von Kosaken und Erdwerken zu verteidigende Forstkonzessionen in Korea, war zu eindeutig, als daß sie nicht in der

34 Im Vertrag vom 27. August 1896 wurde in Artikel VIII der CER „die Verantwortung für die Unterhaltung einer Polizeitruppe auf dem Gebiet der Bahn“ zugestanden. Romanov, „friedliche Durchdringung“, 1970, S. 376. 35 Auch der Generalgouverneur der Amur Provinzen Dukhovskij hielt die „Stationierung einer ansehnlichen russischen Streitmacht in der Mandschurei“ für unabwendbar, da China sonst „zahllose Gelegenheiten besitzt, den Eisenbahnverkehr zu unterbinden“. Er sprach von einem „gewaltigen historischen Mißgriff“ die Bahn „durch ein Gebiet zu legen, das noch auf lange Zeit hin für uns Ausland bleiben wird.“ Romanov, „friedliche Durchdringung“, 1970. S. 361. 36 Hierzu: GP Bd. 16, Kap. CVI- Das Russisch-Chinesische Mandschureiabkommen und die Mächte 1901. S. 309-354. 37 A. M. Bezobrazov –ein der Offiziersschicht entstammender Abenteurer- war die treibende Kraft hinter der Yalu-Holzgesellschaft und nutze seinen guten Kontakt zum Zaren aus um ihn zu einer offensiven Koreapolitik zu verleiten und um sich zu bereichern. Iswolski –der spätere Außenminister- bezeichnete ihn als „un personnage burlesque et à moitié fou“ (eine possenhafte und halbverrückte Persönlichkeit): Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 69. Zur Bezobrazov Clique auch: McDonald, Foreign Policy, 1992, S. 31-57, sowie Malozemoff, Russian Far Eastern Policy, 1958, Kap. VIII.

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Vorstellung der Japaner die unerschütterliche Meinung erweckt hätte, daß wir einen bewaffneten Angriff gegen japanische Interessen in Korea planten.“38

Die japanischen Führer -wie der Premierminister Katsura- waren überzeugt, dass die in den

1890er Jahren propagierte Politik eines Kompensationsgeschäftes ‚Mandschurei gegen Korea’

(Man-Kan kokan), also die japanische Anerkennung russischer Vorherrschaft in der

Mandschurei und die russische Anerkennung der japanischen Führerrolle in Korea, nicht

mehr durchführbar war. Die Beziehungen verschlechterten sich derart, dass ein Krieg nicht

mehr ausgeschlossen schien.39 Die japanischen Politiker gingen auf die Suche nach

Verbündeten.

v) Die japanische Konvention mit Großbritannien

Es kam am 30. Januar 1902 zu einer Allianz zwischen London und Tokio. Nach 10 Monate

langen Verhandlungen legte sie den Grund zur neuen Kräfte-Konstellation im Fernen Osten.40

Großbritannien, dessen Beziehungen zu Deutschland während des Burenkrieges eine

deutliche Verschlechterung erfahren hatten, suchte im asiatischen Bereich ein inhaltlich

begrenztes, aber definitives Bündnisverhältnis zur Eindämmung seines russischen Rivalen. Zu

Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Strategieänderung britischer Seeherrschaft.

Angesichts des internationalen Hochrüstens war der britische ‚two power standard’ zwar noch

haltbar, sollte aber überdacht werden.41 England musste vor allem den massiven Ausbau der

russischen Flotte zwischen 1898 und 1901 zur Kenntnis nehmen.42 In der Literatur wird

zumeist auf die Gefahr der deutschen Flottenrüstung eingegangen und dies ist für die Zeit

38 Kindermann, Der Ferne Osten, 1970, S. 126. 39 Zu dieser ‚war crisis’ auch Malozemoff, Russian Far Eastern Policy, 1958 S. 166ff. Der japanische Botschafter in London, Baron Tadasu Hayashi, sagte zu Außenminister Lord Lansdowne, „daß sein Land mit Sicherheit kämpfen werde, um eine russische Annexion Koreas zu verhüten.” In: Massie, Schalen des Zorns, 1998, S. 343. 40 Vgl. GP 17, Kap. CX- Das Englisch-Japanische Bündnis und die Russisch-Französische Gegenaktion 1901-1902, S. 133-182. Speziell die britischen Dokumente in: BD Bd. 2, Kap. XI- The Anglo-Japanese Agreement, 1901-1902, S. 89-137. Der endgültige Text des Vertrages in: ibid. Nr. 125, S. 114-120. Auch: DF Bd. 2, Kap. V- Extrême Orient. Nr. 5 : Accord Anglo-Japonais. 41 Der ‘two power standard’ legte fest, dass die englische Flotte mindestens so groß sein musste wie die Flotten der beiden nächststärkeren Mächte zusammengenommen. Letztendlich konnte die Royal Navy bis 1911 sogar den Dreimächtestandard halten. Vgl. Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 112-115. 42 Hierzu: Murashima Shigeru, The Opening of the Twentieth Century and the Anglo-Japanese Alliance, 1895-1923, in: Nish Ian, Kibata Yoichi (Hg.); The history of Anglo-Japanese relations, The political-diplomatic dimension, 1600 – 1930 (Bd. 1); London-Basingstoke 2002, S. 159-196, hier: S. 167.

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nach 1904 sicher korrekt, allerdings ging zumindest bis 1902 die größere Gefährdung für die

Britische Marine, speziell im Fernen Osten, von Russlands und Frankreichs Flotte aus.43

Wenn es Russland gelingen sollte, sich in China festzusetzen, so war es wie kein anderer

Konkurrent in der Lage, die Regierung in Peking endgültig in seine Abhängigkeit zu bringen.

Damit wäre der Einfluss aller anderen Mächte in dieser Region -allen voran Englands-

geschrumpft. Russland hätte mit dieser gesicherten Position in China freie Bahn gehabt,

seinen Druck auf die nordwestlichen Gebiete Britisch-Indiens sowie auf Kaschmir und

Afghanistan weiter zu verstärken, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der

spannungsgeladene Brennpunkt britisch-russischer Beziehungen.44 Großbritannien brauchte

angesichts des gefährlichen russischen Expansionismus kein festes Bündnis in Europa

einzugehen, um seine Seemachtstellung zu behaupten. Ein Bündnis mit Japan schien ideal,

wobei auch ein Abkommen mit Deutschland denkbar war. Beides bedeutete allerdings die

endgültige Aufgabe der Ära der ‚Splendid Isolation’. Kolonialminister Joseph Chamberlain

umriss die Lage in einem Memorandum für das Kabinett:

„Es liegt sowohl in China als auch anderswo in unserem Interesse, daß Deutschland den Russen entgegentritt. Ein Bündnis zwischen Deutschland und Rußland, welches die Beteiligung Frankreichs nach sich ziehen würde, ist das einzige, was wir fürchten müssen. Der Zusammenprall von deutschen und russischen Interessen, entweder in China oder in Kleinasien, wäre die beste Garantie für unsere Sicherheit. Ich hoffe, dass unsere Politik dann klar genug ist, um gute Beziehungen zwischen uns und Deutschland zu fördern, ebenso zwischen uns und Japan und den Vereinigten Staaten. Wir sollten uns darum bemühen, sowohl den Bruch zwischen Deutschland und Rußland, als auch denjenigen zwischen Rußland und Japan zu vertiefen.“45

Zur selben Zeit als die Verhandlungen in London stattfanden, gab es auch japanische

Gespräche mit St. Petersburg für ein alternatives Bündnis. Diese Beratungen wurden von den

Japanern auch als Druckmittel in London gebraucht. Für Japan stand fest, dass Russland aus

Korea herausgehalten werden muss, einerlei ob durch direkte Verträge mit Russland oder

durch eine Allianz mit einer weiteren Großmacht.

Die Londoner Gespräche waren erfolgreich und am 30. Januar 1902 konnte ein britisch-

japanisches Militärbündnis zum Schutz der beiderseitigen Interessen im Fernen Osten 43 David Steeds, Anglo-Japanese Relations, 1902-23: a Marriage of Convenience. In: Nish/ Kibata, Anglo-Japanese relations, 2002, S. 197-223, hier: S. 201. 44 Vgl. GP Bd. 17, Kap. CXIV- Die Vorderasiatischen Angelegenheiten. Hinwendung Englands zu Rußland? Die Persische Frage 1899-1904, S. 517-564. 45 Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 60.

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unterzeichnet werden. Der Kern war die Vereinbarung gegenseitiger ‚wohlwollender

Neutralität’, wenn der jeweils andere Vertragspartner von einer einzelnen Macht angegriffen

würde. Wurde der Bündnispartner jedoch von zwei Mächten angegriffen, so war ein

Kriegseintritt des Verbündeten zwingend. Lord Selborne, der Erste Lord der Admiralität,

fasste die Folgen in einem Memorandum zusammen: „Great Britain might engage herself to

come to the assistance of Japan, if in a quarrel between Japan and Russia, France came to the

assistance of Russia or vice versa.“46 Neben der Eindämmungswirkung des russischen

Expansionismus gewann Großbritannien einen Alliierten, der dem Zaren in einem

potentiellen Krieg gegen Frankreich und Russland in den Rücken fallen konnte. Der Nutzen

Japans ist offensichtlich: es hatte die Unterstützung gewonnen, die es zur Offensive in dem

chinesischen Großraum benötigte. Darüber hinaus war es ihm als erstem fernöstlichen Staat

gelungen zum gleichberechtigten Bündnispartner einer der damals führenden Mächte der

Weltpolitik zu werden. Das Japanische Volk feierte das Zustandekommen der Allianz und es

wurde erklärt: „We Japans, non-Christians, now co-operated with a civilised nation, and

became the leader for maintenance of peace in the East.“47 Der Volkswirtschaftler Amano

Tameyuki sprach sogar davon, dass „the alliance is equivalent to the acquisition of the whole

of China Proper as a new territory.“48

vi) Am Vorabend des Krieges

Die Grundproblematik wurde ja schon dargestellt, nämlich dass sich „Rußlands Drang nach

eisfreien Häfen in dieser Region unweigerlich kreuzte mit Japans nicht nur defensiver

Absicht, weder China noch Rußland in seinem Interessenbereich zu einer starken Seemacht

werden zu lassen.“49 Aus der Sicht Tokios schien es dem weit schwächeren Inselreich ganz

unmöglich, die Stärkung der russischen Macht in Asien so lange weiter passiv hinzunehmen,

bis sie das Übergewicht erwirkt hatte. Schon 1903 kam die Neuorganisation der japanischen

Armee mit verdoppelter Streitmacht vor Vollendung, die Zahl der Kriegsschiffe hatte sich

verdreifacht. Die Heeresdivisionen setzten sich nach deutschem Muster aus allen Waffen

zusammen, die Truppen waren modern nach deutschen Dienstvorschriften ausgebildet. Der

Generalstabschef Feldmarschall Oyama Iwao und viele seiner Kollegen waren überzeugt, dass

Japan jetzt zuschlagen musste während die Transsibirische Eisenbahn und die CER noch

46 Steeds, Anglo-Japanese Relations, 1902-23, 2002, S. 202. 47 Shigeru, Anglo-Japanese Alliance, 2002, S. 169. 48 ebd., S. 169. 49 Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 56.

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unfertig und eingleisig waren und während sich die russische Pazifikflotte noch im Aufbau

befand. Ihnen stand zu diesem Zeitpunkt eine gut trainierte und hoch motivierte Armee von

850.000 Mann zur Verfügung. 180.000 Mann befanden sich in aktivem Dienst, 200.000 in der

Ersten Reserve und 470.000 im Zweiten Aufgebot.50

Obwohl Japans Insellage alle Vorteile einer Verteidigung bot, mussten die Nachteile des

Angriffs in Kauf genommen werden. Der Angreifer besaß den Vorteil, seine kriegsbereiten

Landungskräfte rascher nach den Einsatzorten transportieren zu können, als die

Verstärkungen des Verteidigers in Ostasien zur Stelle waren, die auf die eingleisige

transsibirische Bahn angewiesen blieben.51 Japans gravierender Nachteil bestand in der

Unmöglichkeit, die unerschöpfliche Quelle der russischen Truppenzufuhr zu verstopfen.

Folglich schien alles darauf anzukommen, über die zuerst erreichbaren Feindteile schnelle

Siege zu erzwingen.

Unter dem strategischen Aspekt, die mit großen Opfern errichtete Armee nicht leichtfertig

aufs Spiel zu setzen, war eine erste Landung nördlich Port Arthur, wo die stärksten

Abwehrkräfte zu vermuten und die Schlachtschiffe des Ostasiengeschwaders konzentriert

waren, unmöglich. Der Einwand des geringeren Risikos ließ den Weg an die Westküste

Koreas in möglichster Nähe des Yalu wählen. Stand dann noch die Seeherrschaft außer

Zweifel, waren die Vorbedingungen für ein Landeuntemehmen gegen Port Arthur geschaffen.

Die politische Entwicklung zum Krieg ergab sich aus dem beiderseitigen Notenwechsel ab

August 1903.52 Japan forderte die gegenseitige Anerkennung der Unabhängigkeit und

territorialen Unverletzlichkeit des chinesischen wie des koreanischen Reiches, was auch die

Mandschurei betraf. Russland verlangte die entsprechende Verpflichtung, keinen Teil des

koreanischen Gebietes für militärisch-strategische Zwecke vorzusehen, das Territorium

nördlich des 39. Breitengrades als neutrale Zone anzuerkennen, ebenso die Mandschurei samt

ihrer Küsten als außerhalb der japanischen Interessensphäre liegend.

50 John Albert White, The Diplomacy of the Russo-Japanese War, Princeton 1964, S. 137f. 51 Kuropatkin war sich dessen bewußt: “Next to the absence of the Russian fleet, the most important factor to assist the Japanese in their offensive strategy and to impede us was the condition of the Siberian and Chinese Eastern Railways.” White, Diplomacy of the Russo-Japanese War, 1964, S. 146. 52 Detailliert in: Malozemoff, Russian Far Eastern Policy, 1958, S. 237-249 sowie White, Diplomacy of the Russo-Japanese War, 1964, S. 95-111. Siehe: BD Bd. 2, Kap. XIII- Russian Policy in the Far East 1903-1904, S. 197-252. Auch: DF Bd. 3, Kap. V- Extrême Orient, Japon.

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In Petersburg standen sich Kriegs- und Friedenspartei im Wege; die einen warnten zumindest

vor einem verfrühten Waffengang, die anderen vertraten imperialistisch-wirtschaftliche

Ansichten, z.T. auch aus Gründen persönlichen Profits, oder sie erachteten die revolutionären

Umtriebe im Lande als größere Sorge und militärische Siege als bestes Mittel dagegen. Der

russische Innenminister Plehwe formulierte es im Gespräch mit Kuropatkin so: „Aleksej

Nikolaevič, Sie kennen die innere Lage Rußlands nicht. Um die Revolution zurückzuhalten,

brauchen wir einen kleinen siegreichen Krieg.“53 Um den Krieg zu vermeiden, wollte die

Friedenspartei den Gegner nicht durch Rüstungen reizen, aber die politischen Ziele auch nicht

aufgeben. Zar Nikolaus schien seine Linie gefunden zu habe und schrieb 1903 an den

russischen Statthalter im Fernen Osten, General und Vizekönig Alekseev eine Direktive:

„[to] give support to the wide activity of the Russian entrepreneurs in Manchuria ... especially in those regions which might be considered important in a military and political sense,“ und „in a minimum time, and without concern over the necessary expenditures, to put our military preparedness in the Far East in equilibrium with our political-economic aims, thus giving an obvious proof to everyone of our decisions to defend our rights to the exclusive influence in Manchuria.“54

Allerdings war er sich im klaren darüber, dass ein Krieg zu diesem Zeitpunkt sehr

ungelegen käme: „[...]war is unquestionably undesirable“ und „Time is Russia’s best ally.

Every year strengthens us.“55 In Militärkreisen mag mancher mit Geringschätzung auf die

Japaner herabgeschaut haben.56 Vor allem die schnellen und leichten Siege in der

Mandschurei während der Boxer Rebellion blendeten die Militärs und ein Gefühl machte sich

breit, dass ein russischer Soldat soviel wert sei wie zehn Asiaten. Keinesfalls betraf das den

designierten Oberbefehlshaber des Mandschurei-Heeres General Kuropatkin, den ehemaligen

Kriegsminister. Im Bewusstsein der unzureichenden militärischen Vorbereitung des

Feldzuges verzichtete er von vornherein auf die Offensive.57

53 Das Zitat äußerte er im Sommer 1903 wenn man den Memoiren Wittes glauben darf. In: Kusber, Krieg und Revolution, 1997, S. 37 54 Malozemoff, Russian Far Eastern Policy, 1958, S. 218 55 David Wells u. Sandra Wilson (Hg.), The Russo-Japanese War in Cultural Perspective, 1904-05, London-Basingstoke 1999, S. 8 56 Nicht nur im Militär; eine russische Zeitung titelte beispielsweise: „Japan wird es nicht wagen, gegen Rußland die Waffen zu ergreifen, da ein solcher Krieg für Japan den Selbstmord bedeuten müßte.“ In: Diwald, Seemachtpolitik, 1984, S. 67. 57 In einem Memorandum sagte er: „In the Japanese we shall in any case have very serious opponents, who must be reckoned with according to European standards.“ In: Connaughton, Rising Sun and Tumbling Bear, 1988, S. 53.

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In Tokio herrschte feste Entschlossenheit, die Entscheidung nicht weiter hinauszuschieben,

damit der Rüstungsvorsprung nicht wieder verloren ging. Am 6. Februar 1904 wurden

schließlich die diplomatischen Beziehungen abgebrochen.58

b) Der Krieg

i) Zum Kriegsverlauf59

Ohne Kriegserklärung eröffneten die Japaner in der Nacht vom 8. zum 9. Februar 1904 die

Feindseligkeiten am Schwerpunkt der russischen Seemacht Port Arthur, wo die Masse der

Pazifikflotte sorglos auf der Außenreede ankerte. Obwohl der Überraschungsmoment auf

Seiten Admiral Togos lag verlief der Überfall relativ erfolglos. Ein gleichzeitig

durchgeführtes Unternehmen bei Chemulpo (Inchuan) kostete die Russen zwei Schiffe, die

Variag und die Koreets.60 Die offizielle Kriegserklärung Japans folgte am 10. Februar und

betonte, dass die Absorbierung der Mandschurei durch Russland die lebenswichtigen

Interessen des japanischen Reiches in Korea in untragbarer Weise gefährde. In den nächsten

Wochen wurde die russische Flotte weiter erfolgreich angegriffen und ihr zögerlicher

Oberkommandierender Admiral Stark am 8. Mai von dem energischen und charismatischen

Admiral Makarov ersetzt. Sein vielversprechendes Kommando endete bereits am 13 April, als

sein Flagschiff die Petropavlovsk auf eine Mine lief und mit dem Admiral und 600 Mann

sank. Die zusammengeschrumpfte Flotte, die der japanischen nun zahlenmäßig weit

unterlegen war, blieb weitgehend in Port Arthur festgehalten.

Die Landungsoperationen der japanischen Ersten Armee unter General Kuroki begannen im

März 1904 bei Chemulpo und Nampo in Korea. Ende April stand sie am Fluss Yalu den

Russen gegenüber. Am 1. Mai erzwang sich die japanische Armee den Übergang über den

Grenzfluss. Die russischen Truppen General Zasuličs wurden geschlagen und die Russen aus

Korea verdrängt.61 Damit stand den Japanern der weitere Vorstoß in die Mandschurei offen.62

Im Mai landete die japanische Zweite Armee (General Oku Yasukata) auf der Halbinsel 58 Die Japanische Note an Russland zum Abbruch der Beziehungen in: BD Bd. 2, Nr. 292, S. 245f. Siehe auch: BD Bd. 4, Kap. XXIII- The Russo Japanese War, S. 1-119 und DF Bd. 4, Kap. V- Conflit Russo-Japonais. a, Les Origine de la Guerre ; b, La Guerre Russo-Japonaise. 59 Ein guter Überblick in: Kusber, Krieg und Revolution, 1997, S. 38-65. 60 Hierzu: Connaughton, Rising Sun and Tumbling Bear, 1988, S. 29-46. 61 Besonders in Europa war man sensibilisiert, was diesen ersten Sieg der Japaner über eine europäische Großmacht anging. Die Allgemeine Zeitung schrieb beispielsweise: „For the first time regiments of the Island Empire have measured themselves in a serious battle with a European army and have decorated their colors with bloody laurels...The first battles of a campaign have an extraordinary moral importance which considerably exceeds the tactical advantage.” White, Diplomacy of the Russo-Japanese War, 1964, S. 151. 62 Connaughton, Rising Sun and Tumbling Bear, 1988, S. 47-66.

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Liaotung, unterbrach die Verbindung zwischen Port Arthur und dem Gros der russischen

Truppen in der Mandschurei, nahm Kinchow ein, gewann die Schlacht von Nanshan, eroberte

Dalny (30. Mai) und belagerte Port Arthur.63 In den Kämpfen bei Tashichiao (24. Juli) gelang

den Russen ein schwerer Schlag gegen die Japaner, aber es gelang ihnen nicht, die Armee

Okus auf ihrem Weg nach Norden zu stoppen.

Am 10. August wagten die russischen Schiffe in Port Arthur einen Ausbruch um sich mit den

wenigen Kreuzern in Wladiwostok zu vereinen. Der Ausbruch misslang, der russische

Admiral Witthöft wurde getötet, einige seiner Schiffe wurden in neutralen Häfen interniert,

ein anderer Teil sank und der verbleibende Rest musste die Flucht zurück nach Port Arthur

antreten.64 Kurz nach diesen Kämpfen begann General Nogi seinen ersten Angriff auf Port

Arthur, bei dem 20.000 Soldaten ihr Leben verloren. Kuropatkin erhielt von dem russischen

Zaren Nikolaus II. den nachdrücklichen Befehl, Port Arthur zu halten, und verlegte den

größeren Teil seiner Truppen nach Liaoyang. Ein Entsatzversuch von Generalleutnant G.K.

Stackelberg mit 26.000 Mann scheiterte. Nach dem Sieg über eine russische Armee von

25.000 Mann am 14. Juni in Wafangdian (Wafangtien) konzentrierten sich die Japaner auf

Liaoyang. Den Japanern standen zwar nur 130.000 Mann (gegenüber 180.000 Soldaten auf

russischer Seite) zur Verfügung, aber sie schlugen die Russen, die sich daraufhin nach

Mukden zurückzogen.65 Die Zeit war auf der Seite der Russen, und die Japaner, die seit Mai

Port Arthur belagerten, versuchten erneut, den Hafen zu stürmen. Nach einem zehntägigen

Angriff, bei dem die Japaner 10.000 Mann verloren, kapitulierte die Stadt im Januar 1905

unter Generalleutnant Stoessel. Die Schlacht bei Mukden (19. Februar bis 10. März)

besiegelte das Ende der Feindseligkeiten an Land, nachdem das russische Landheer hier die

entscheidende Niederlage erlitten hatte.66

Die russische Moral war nach der Niederlage von Mukden auf dem Tiefstpunkt angekommen,

besonders im Kontext mit den revolutionären Ereignissen in Russland.67 Trotz der strengen

63 Die Kämpfe von Nanshan in Connaughton, Rising Sun and Tumbling Bear, 1988, S. 67-80. 64 Es ist denkbar, eine Parallele zur Deutschen Hochseeflotte zu ziehen, die während des Ersten Weltkrieges meist untätig und von der Britischen Flotte ‚beaufsichtigt’ in ihren Heimathäfen lag. Vgl.: S.P. MacKenzie, Willpower or Firepower? The Unlearned Military Lessons of the Russo-Japanese War. In: Wells/ Wilson, Cultural Perspective, S. 30-40. 65 Der Vorstoß nach Liaoyang und die anschließende Schlacht in: Connaughton, Rising Sun and Tumbling Bear, 1988, S. 101-124 sowie S. 125-167. 66 Zu Belagerung und Fall von Port Arthur ibid. S. 168-207, die Schlacht von Mukden ibid. S. 208-238. 67 Die Folgen zeigten sich schon bei der Kapitulation Port Arthurs. Ein Verteidiger schrieb: „Arthur fiel. Ich beendige mein Tagebuch – was soll ich noch weiter schreiben? Vielleicht, daß unsere demoralisierten und disziplinlos gewordenen Truppen Trunkenheit und Raubsucht zeigten, während die Japaner, welche man bis

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Zensur drangen Nachrichten vom ‚Blutigen Sonntag’ auf die Schlachtfelder. Eine friedliche

Demonstration war am 22. Januar vor dem Winterpalais in St. Petersburg von Militär

zusammengeschossen worden und die Streikbewegung schlug in revolutionäre Unruhen um,

die sich mit Kundgebungen, Attentaten und Stillstand über das gesamte Reich ausbreiteten.

Japan hingegen war immer noch der Bedrohung durch die russische Seemacht ausgesetzt. Da

die fernöstliche russische Flotte von den Japanern festgehalten wurde, beschlossen die Russen

zwei Ostseegeschwader aus den europäischen Gewässern abzuziehen und nach Fernost zu

schicken. Die aus 45 Schiffen bestehenden Geschwader verließen am 15. Oktober 1904 unter

dem Kommando von Admiral Sinovij Petrowitsch Rožhestvenskij den Ostseehafen Libau.68

Kurz darauf wurden sie in den Doggerbank Zwischenfall verwickelt, als russische Schiffe auf

britische Fischtrawler schossen, die sie irrtümlich als japanische Torpedoboote identifiziert

hatten.69 In einer logistischen Meisterleistung, die vom Ausmaß mit der Alpenüberquerung

Hannibals vergleichbar ist, umsegelte die Flotte Afrika, überquerte den Indischen Ozean und

erreichte Anfang Mai 1905 nach 18.000 Seemeilen das Chinesische Meer. Von dort sollte der

Weg nach Wladiwostok gehen. Die Japaner unter Admiral Togo fingen die russische Flotte in

der Straße von Tsushima zwischen Korea und Japan ab und schlugen sie zwischen dem 27.

und 29. Mai vernichtend.70 Damit waren die militärischen Auseinandersetzungen beendet.

ii) Die Lehren aus dem Waffengang

Dem hier behandelten Konflikt kommt in der Kriegsgeschichte eine besondere Bedeutung zu.

Man muss sich vor Augen führen, dass zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg von

1870/71 und der Jahrhundertwende kein größerer Krieg mit Teilnahme einer Großmacht

stattgefunden hat. In diesen 30 Jahren gab es lediglich Kolonialkriege, deren Dimension sehr

beschränkt blieb. Zur gleichen Zeit aber entwickelte sich die Organisation der Armeen, die

Militärtechnologie sowie Strategie und Taktik, also das ‚militärische Wissen’, geradezu

exponentiell. In diesen Kategorien ist der Russisch-Japanische Krieg ein direkter Vorläufer dahin für Wilde hielt, sich bescheiden zeigten und sich nicht wie Sieger gerirten [sic]. Es ist für mich traurig, dies zuzugeben, aber es ist die bittere Wahrheit.“ In: B. von Lignitz, Neuzeitliche Taktik. Nach den Erfahrungen des Japanisch-Russischen Krieges, Berlin 1911, S. 92. 68 ebd. S. 239-270. 69 Der Zwischenfall löste in der britischen Öffentlichkeit heftigste Reaktionen aus. Siehe: GP Bd. 19 (I), Kap. CXXXIV- Der Zwischenfall an der Doggerbank 1904, S. 279-300. Speziell: BD Bd. 4, Kap. XXIII- Nr. 2- The Dogger Bank incident, October-December 1904, S. 5-40. Auch: DF Bd. V, Kap. IIIc- L’Affaire du Dogger Bank. Vgl. auch: Kusber, Krieg und Revolution, 1997, S. 55. 70 Hierzu auch: Thiess, Tsushima, 1941. Thiess stellt in seinem Roman detailliert die Voraussetzungen und den Verlauf jener Schlacht dar, die den ‚Untergang des Zarenreichs’ und die ‚Geburt einer neuen Großmacht’ Japan signalisiert.

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des Ersten Weltkrieges. Um so erstaunlicher ist es, dass ihm in der Militärhistoriographie vor

1914 diese Bedeutung nicht zuerkannt wird.71 Der Mangel an Informationen kann nicht dafür

verantwortlich gemacht werden, da Dutzende Heeres- wie Marinebeobachter verschiedenster

Nationalität den Belligerenten ‚über die Schulter’ schauten. Sie wurden Zeugen der neuen

Facetten des Krieges. Auf See wurden die erstmals eingesetzten Kontaktminen den

japanischen Kriegsschiffen Hatsue und Yashima zum Verhängnis. Die Scharmützel in der

Gelben See (August 1904) und die Seeschlacht von Tsushima machten die Mängel der

aktuellen Torpedogeneration deutlich, aber auch die Wirkung großkalibriger (Schiffs-)

Kanonen in Verbindung mit neuartigen Entfernungsmessgeräten und Feuerleitzentren. Zu

Lande zeigte sich die Tödlichkeit moderner Karabiner, schnellfeuernder Artillerie und, allem

voran, der Maschinengewehre. Um Verluste gering zu halten, war ein Eingraben und das

Errichten von betonierten Unterständen unerlässlich geworden. Der Einsatz moderner

Kommunikationsmittel wie Telegraph und Telephon ermöglichte ein bisher nicht gekanntes

Zusammenwirken von Infanterie und Artillerie.72 Der Infanteriegeneral von Lignitz nennt

beispielsweise als neue Kriegsmittel bei Belagerungen: „Rauchschwaches Pulver, Brisanz-

Geschossladungen, 11 zöllige Haubitzen, Maschinen-Gewehre, Handgranaten, Dynamit-

Bomben, Panzerschutz der Sappeure, elektrisierte Drahthindernisse, Minen, Scheinwerfer,

außerdem in den Schutzbauten Anwendung von Panzerungen und Beton.“73 Trotz all dieser

Veränderungen war es für viele Militärs noch nicht nachvollziehbar, dass die Zeit der großen

Infanterieangriffe, der klassischen Bajonett Kämpfe und der Kavallerieattacken vorüber sein

sollte.

c) Ergebnisse und Konsequenzen

i) Der Friede von Portsmouth

Nach der Schlacht um Port Arthur und den Niederlagen bei Mukden und Tsushima nahm der

Zar das Vermittlungsangebot des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt an.74 Mit

ein Grund war, dass bis zu diesem Zeitpunkt –mit Ausnahme der Insel Sachalin- noch kein

Teil russischen Territoriums von japanischen Streitkräften besetzt worden war.75 Die

Meuterei auf dem Panzerkreuzer Potemkin im Juni 1905 war symptomatisch für die innerlich 71 Keith Neilson, ‘That Dangerous and Difficult Enterprise’: British Military Thinking and the Russo-Japanese War. In: War & Society, Vol. 9, Nr. 2 (Oktober 1991), S. 17-37. Hier: S. 17. 72 Das später als Feuerwalze bekannt gewordene Verfahren. Hierzu: Neilson, Military Thinking. 1991, S. 19f. 73 von Lignitz, Neuzeitliche Taktik. 1911, S. 93. 74 DF Bd.6, Kap. IIIb- Les Ètats-Unis et le Conflit d’Extrême-Orient. 75 Wie Steeds sagte: „Russia was down but certainly not out.“ Steeds, Anglo-Japanese Relations, 1902-23, 2002, S. 204.

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zerrüttete Armee und damit auch für die Armeen in der Mandschurei. Der Krieg gegen Japan

hatte die tiefe Kluft zwischen Offizierskorps und Mannschaften offen zu Tage treten lassen.

Persönlicher Dünkel, Reputationswahrung und Korruption auf Kosten der Soldaten führten

dazu, dass die Offiziere ihre Vorbildfunktion verloren und es zu Meutereien unterschiedlichen

Ausmaßes kommen konnte.

Die Japaner waren zwar siegreich, hatten aber ihre finanziellen Ressourcen vollständig

ausgeschöpft und zeigten sich ebenfalls zu Verhandlungen bereit. Sie waren auch zu einem

nicht unerheblichen Teil ‚ausgeblutet’. Am 5. September 1905 wurde der Frieden von

Portsmouth unterzeichnet.76 Russland gab die Pacht von Liaoyang und Port Arthur auf, trat

die südliche Hälfte von Sachalin an Japan ab, verließ die Mandschurei und akzeptierte, dass

Korea im Einflussbereich der Japaner verblieb. Die Errungenschaft, keine Kriegskosten

zahlen zu müssen, war das Resultat zäher Verhandlungen, beruhte aber auch auf dem

Augenmaß der Siegerseite. Der Krieg hatte ein neues Stadium des japanischen Imperialismus

eingeläutet: Japan war fortan eine Großmacht auf dem Kontinent.

Noch vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages war es zu einer Erneuerung des britisch-

japanischen Bündnisvertrages gekommen. Großbritannien anerkannte darin Japans Recht, alle

ihm erforderlich scheinenden Maßnahmen für die „Lenkung, die Kontrolle und den Schutz in

Korea“ zu ergreifen, sofern dort die Gleichheit der Handelschancen für alle Staaten gewahrt

bleibe. 77 Japan wiederum anerkannte Großbritanniens Recht, an den indischen Grenzen alle

Maßnahmen zu ergreifen, die es für die Sicherheit Indiens als wünschenswert erachtete. Diese

Erneuerung und Erweiterung des Bündnisses wurde von Tokio angestrebt auf Grund der

Sorge, Russland könne nach seinem Krieg mit Japan seine Rüstungen im fernen Osten

maßgeblich verstärken, um eines Tages einen Vergeltungskrieg gegen Japan führen zu

können. Wie sich zeigen sollte kam es aber zu einer russisch japanischen Annäherung, die in

der Konvention vom Juli 1907 gipfelte. Hier wurde die Erhaltung des Status quo besiegelt:

die chinesischen Gebiete der Mandschurei wurden aufgeteilt in eine nord-nordöstliche

Einflusssphäre Russlands und süd-südwestliche Einflusssphäre Japans. Eine gegenseitige

76 GP Bd. 19 (II), Kap. CXXXIX- Deutschlands und Amerikas Zusammengehen während des Krieges. Der Friedensschluß, S. 529-632. DF Bd. 7, Kap. II- L’Entente Cordiale et la Russie. a, La Fin de la Guerre Russo-Japonaise. L’Intervention du Président Roosevelt et la Traité de Portsmouth. Auch: DF Bd. 8, Kap. II- L’Alliance Russe après la Crise d’Extrême Orient. a, La Ratification du Traité de Portsmouth. 77 Kindermann, Der Ferne Osten, 1970, S. 132. GP Bd. 19 (II), Kap. CXL- Die Erneuerung des Englisch-Japanischen Bündnisses, S. 633-642. Speziell: BD Bd. 4, Kap XXIV- The Anglo-Japanese Agreement of 1905, S. 120-182. Auch: DF Bd. 7, Kap IIc- Le Traité Anglo Japonais: L’Angleterre et la Russie apr`s la Traité de Portsmouth.

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Nichtintervention wurde vereinbart sowie der besondere Status Japans in Korea anerkannt.

Japan hingegen erkannte spezielle Interessen Russlands in den zum chinesischen Reich

gehörenden Gebieten der Äußeren Mongolei an.

Die internationalen Auswirkungen des Krieges ebneten in Europa den Weg zur engeren

Bündniskonstellation. Frankreich und England waren durch ihre Alliierten (französisch-

russischer Zweibund von 1894 und britisch-japanisches Flottenabkommen 1902) in eine

schwierige Lage geraten. Jetzt beseitigten sie ihre kolonialen Interessengegensätze und fanden

sich zur „Entente Cordiale“ zusammen.78 Russland hingegen verließ das ostasiatische Theater

weitgehend und orientierte sich wieder nach Europa, besonders nach der Einsetzung von A.

Iswolski als Außenminister 1906. Die diplomatischen Aktivitäten verstärkten sich besonders

nach den Balkan Krisen 1908-1913.

78 Ägypten und Hinterindien als britisches Interessensgebiet, Nordafrika und speziell Marokko als französisches.

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2) Schluss

Der alteingeführten europäischen Großmacht Russland stand der asiatische Newcomer Japan

gegenüber, dessen schnelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im öffentlichen

Bewusstsein Europas noch kaum seinen Niederschlag gefunden hatte. Durch seinen Sieg über

Russland hatte sich Japan einen Platz in der Reihe der damaligen Großmächte erkämpft, und

nachdrücklich in der bisher europazentrierten Welt auf die gewachsene Rolle

nichteuropäischer Völker, im seinerzeitigen Sprachgebrauch die „gelbe Gefahr“ genannt,

aufmerksam gemacht. Militärisch wurden eine Reihe von Besonderheiten sichtbar, durch

welche sich der Krieg 1904/05 als erster einer Reihe von ‚imperialistischen’ Kriegen von der

Art der Kabinettskriege unterschied:

Das militärische Potential der beteiligten Staaten wurde, weitaus mehr als bisher üblich, durch

ihre ökonomische Leistungsfähigkeit bestimmt.

Der Krieg wurde mit Massenarmeen aus Wehrpflichtigen in bisher beispiellosen

geographischen Dimensionen geführt. Schlachten und Operationen dauerten nicht mehr Tage,

sondern Wochen und Monate und der Verbrauch militärischer Güter stieg in bisher ungeahnte

Dimensionen.

Ungewohnt war auch die Austragung des Kampfes zwischen Russland und Japan auf dem

Territorium der neutralen Länder China und Korea.

Hinzu kommt die Verwendung neuer Waffensysteme (moderne Panzerschiffe, Torpedos,

Schnellfeuerartillerie mit indirekten Schießverfahren, Maschinengewehre, Handgranaten u.a.)

die neue Führungs- und Ausbildungsmethoden erforderlich machten. Es zeigte sich die

Notwendigkeit der Entwicklung bisher unbekannter Kampfmittel auf der Grundlage des

aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik (U-Boote, Funk, Flugwesen), welcher zu

einem Rüstungswettlauf zwischen den verschiedenen imperialen Staaten führte. Sorgfältig

wurden diese Erscheinungen durch ausländische Militärbeobachter bei Russen und Japanern

studiert, und es entwickelten sich eine rege Diskussionen in der internationalen Militärpresse.

In Russland zog das militärische Debakel schwerste Erschütterungen im Inneren nach sich.

Mit den Ereignissen des Januar 1905 in Petersburg begann in Russland eine bis 1907

anhaltende Periode revolutionärer Unruhen. Infolge des langanhaltenden Reformstaues und

der durch den Krieg politisch geschwächten zaristischen Herrschaft begannen nun Teile der

russischen Arbeiterklasse, der Bauernschaft und des Bürgertums ihre politischen,

ökonomischen und sozialen Forderungen mit Mitteln des aktiven politischen, auch

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bewaffneten Kampfes durchzusetzen. Aber auch in den Reihen der politisch Herrschenden,

bis hinauf zum Zaren, erschienen jetzt politische Reformen unausweichlich. Davon blieb auch

das Militär nicht verschont, zumal wegen der Misserfolge im Russisch-Japanischen Krieg die

Masse der Offiziere die Notwendigkeit von Veränderungen in Armee und Flotte zwecks

Wiederherstellung ihrer Kampfkraft und zur Behauptung der Großmachtstellung Russlands

als unbedingt erforderlich betrachtete.

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The Battle of Tsushima von Captain Vladimir Semenoff (während der Schlacht von Tsushima Offizier an Bord des russischen Flaggschiffs Suwaroff).

http://www.wtj.com/archives/semenoff1.htm

Autor: Alexander Jordan [email protected]

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The Battle of the Yellow Sea von Captain Vladimir Semenoff (der russische Ausbruchsversuch aus Port Arthur gesehen von Bord des Schiffes Diana)

http://www.wtj.com/archives/semenoff2.htm

Zur Geschichte der Russischen Marine im Russisch-Japanischen Krieg:

http://www.navy.ru/history/hrn10-e.htm